Pharma Innovation
05.05.2023 | Process Innovation
Der Elektrifizierung von Wirtschaft und Mobilität gehört die Zukunft. Und eine entscheidende Rolle werden dabei Speichertechnologien spielen. Doch stellt man Experten die Frage, wo in der Batterietechnik das größte Innovationspotenzial zu erwarten ist, dann wird die Antwort die meisten Menschen überraschen: Nicht in der Chemie und bei neuen Materialien, sondern in der Produktionstechnik. Während beispielsweise bei Lithium-Ionen-Batterien auf der Materialseite zusehends ein technologisches Optimum in Sicht ist, ist die Produktion von Batteriezellen und Batterien noch längst nicht ausgereift. So hängt die Energiedichte, Lebensdauer und Leistungsfähigkeit von Batteriezellen generell und vor allem bei niedrigen Temperaturen entscheidend von der Präzision der Partikelgrößen und der Formgebung ab. Und obwohl China derzeit unangefochtener Marktführer bei der Produktion von Batterien für Elektroautos ist, könnte sich dies in den kommenden Jahren ändern, wenn neue Player in den USA und in Europa in großer Zahl neue Batteriefabriken mit neuester Technik bauen.
Der Schlüssel dazu liegt im Produktionsprozess, sind Forscher vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung, IPA, überzeugt. Ein wichtiger Faktor sind mechanische Verfahren: Sie ermöglichen die Produktion und Verarbeitung von Nanomaterialien und die exakte Fertigung von Elektroden. Die Komplexität der Batterie-Wertschöpfungskette beginnt bereits bei der Gewinnung der Rohstoffe durch Bergbau oder chemische Extraktion – aber richtig knifflig wird der Prozess bei der Verarbeitung der Materialien: Diese müssen nicht nur in gleichbleibend hoher Qualität („Battery Grade“) hergestellt werden, sondern auch in großen Mengen. Und weil aktive Batteriematerialien toxisch sind, müssen die Produktionsprozesse zudem auch noch hermetisch dicht sein (Containment).
Hersteller von Mischern, Dispergierern und Reaktoren haben sich dem Thema angenommen. Ein Beispiel ist die Weiterentwicklung von Rohrreaktoren zur Pulversynthese: Ein pulsierender Heißgasstrom sorgt beispielsweise beim Rohrreaktor von Glatt Ingenieurtechnik für turbulente Strömungsverhältnisse und ermöglicht es, die Größe, Oberfläche und Struktur von Partikeln exakt und reproduzierbar einzustellen. Doch nicht nur in der Reaktionstechnik hat die Temperaturverteilung einen großen Einfluss auf die Produktqualität. Weil Anoden- und Kathodenmaterialien oft in Hochtemperaturprozessen hergestellt werden, kommt es zudem auf die Beheizung, Strömungsführung und Isolierung der Produktionsmaschinen an.
Ein weiterer Prozessschritt in der Batteriefertigung ist die Beschichtung der Trägerfolien, auf die das Aktiv-Material aufgebracht wird. Die Beschichtungsmasse muss dabei besonders homogen sein, weil Abweichungen in der Partikelgröße oder Viskosität zu Leistungseinbußen führt. Neue Misch- und Dispergiermaschinen wie die von Ystral zielen darauf, den Energieeintrag exakt zu kontrollieren und den Energiebedarf zu minimieren – ein im Hinblick auf die großen zu verarbeitenden Mengen wichtiges Optimierungsziel.
Immer interessanter werden kontinuierliche Verfahren: Im Gegensatz zur klassischen Batch-Produktion steigt mit Konti-Prozessen die Produktiviät, weil Stillstands- und Reinigungszeiten entfallen. Zudem ermöglichen kontinuierliche Verfahren eine bessere Kontrolle über den Produktionsprozess, können einfacher hermetisch dicht gestaltet werden und erreichen höhere Produktqualitäten. Das ist vor allem auch dann wichtig, wenn das Produkt sensibel gegenüber Verunreinigungen ist oder Keimbelastungen vermieden werden müssen. Außerdem sind kontinuierliche Verfahren einfacher zu skalieren und führen zu einer höheren Energie- und Kosteneffizienz.
Doch um kontinuierliche Prozesse zu erreichen, müssen mechanische Verfahren angepasst oder neu entwickelt werden: Ob Mühle, Mischer, Trockner oder Zentrifuge – die Konstruktion von Konti-Maschinen folgt anderen Gesetzmäßigkeiten. Das Umdenken mit der Zielstellung „Konti“ führt bereits zu neuen Konstruktionen. Ein Beispiel sind die zuletzt von Flottweg entwickelten Düsenseparatoren, die zur kontinuierlichen Abscheidung von Feststoffen aus Flüssigkeiten beispielsweise in der Biotechnologie eingesetzt werden. Im Gegensatz zu klassischen Zentrifugen nutzt die Maschine eine vergleichsweise leichte Trommel und benötigt dadurch deutlich weniger Antriebsenergie.
Ein weiteres Beispiel sind kontinuierlich arbeitende Extruder, die im Recycling von Kunststoffen zum Einsatz kommen. So sorgen beispielsweise Doppelschneckenextruder von Coperion beim thermischen Recycling des Kunststoffs Polymethylmethacrylat (PMMA) für einen hocheffizienten Energieeintrag in die Kunststoffschmelze, wodurch eine schnelle und energieeffiziente Depolymerisation erreicht wird.
Die Maschinenentwicklung wirft ein Schlaglicht auf den wachsenden Zukunftsmarkt der Kreislaufwirtschaft: Die Produktion von Kunststoffen auf Basis von chemischem Recycling ist darin eine zukunftsweisende Option. Dabei ist die Zerlegung der Polymere in ihre chemischen Bestandteile nur der letzte Schritt. Viel sinnvoller ist mit Blick auf die Energiebilanz das mechanische Recycling, das bislang jedoch häufig daran scheitert, dass Kunststoffabfälle meist nicht sortenrein sind. Hier sollen künftig digitale Technologien helfen. So können künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen die Daten von Kameras und Sensoren an den Sortiermaschinen auswerten und den Kunststoffabfall – auch mit Hilfe von Robotern – in verschiedene Fraktionen trennen.
Steigende Recyclingquoten sind ebenfalls eine Herausforderung für die mechanischen Verfahren: Anlagen stoßen an ihre Kapazitätsgrenzen. Weil beispielsweise mechanische Mischer in ihren Baugrößen limitiert sind und mit den Mengen auch die mechanischen Kräfte steigen, kommt es im PET-Recycling beim Mischen von PET-Flakes zu Qualitätsschwankungen. Mischsilos, bei denen das Schüttgut gleichzeitig aus verschiedenen Höhen abgezogen wird, sind eine Lösung von Zeppelin Systems, mit der große Mengen schonend gemischt werden können. Die deutlich höheren Durchsätze erfordern zudem andere Förderkonzepte.
Spätestens hier wird deutlich, dass sich mechanische Verfahren meist trotz moderner Auslegungsmethoden wie der numerischen Strömungsmechanik (CFD), der Modellierung oder Simulationen nicht vollständig am digitalen Reißbrett planen lassen. Hersteller von Anlagen und Maschinen investieren deshalb immer häufiger in eigene Labors und Testanlagen, um das jeweils beste Verfahren für eine Schüttgutanwendung zu finden. Neue Lösungen entstehen dabei in enger Zusammenarbeit zwischen Maschinen- und Anlagenlieferanten und den Anwendern. Dies ist umso wichtiger, weil – wie das Beispiel der Batterie-Gigafabs zeigt – zunehmend auch bisher nicht ausgereifte Verfahren und Prozesse in „first-of-its-kind“-Anlagen in einen großtechnischen Maßstab skaliert werden.
Dass gemeinsame Entwicklungsanstrengungen immer wichtiger werden, gilt auch für die Nahrungsmittelbranche, die sich ebenfalls in einem Transformationsprozess befindet. Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit sind hier die Megatrends, die den Bedarf nach neuen Verfahren treiben. Deutlich wird dies zum Beispiel am Trend zu Fleischalternativen, Pflanzenproteinen und Milch-Ersatzprodukten. Diese werden in den kommenden Jahrzehnten auch deshalb immer wichtiger werden, weil die klassische Produktion tierischer Proteine angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung und sich ändernden Ernährungsgewohnheiten an ihre Grenzen gelangt. Auch hier spielen mechanische Verfahren eine zentrale Rolle – vom Mahlen und Sieben über Zentrifugation, Filtration und Trocknung bis hin zur Texturierung von Fleischersatz per Extruder. Innovationen entstehen auch hier durch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Lebensmitteltechnologen, Maschinenbauern und Verfahrenstechnikern.
Obwohl es unbestritten scheint, dass KI oder maschinelles Lernen künftig eine wichtige Rolle in der Prozessindustrie spielen werden, sind sie nur eine Ausprägung digitaler Technologien, die künftig in der mechanischen Verfahrenstechnik Nutzen stiften können. Zwei wesentliche Trends sind der steigende Automatisierungsgrad und der Bedarf an modularen Anlagen. Die Grundidee: Aus einzelnen verfahrenstechnischen Grundeinheiten bzw. Modulen aufgebaute Anlagen ermöglichen es, nicht nur das Engineering zu vereinfachen, sondern auch die Anlagenkapazität flexibel zu erweitern. Mit der Auswertung von Prozess- und Sensorinformationen lassen sich zudem Prozesse kontinuierlich optimieren.
Weil die Verschaltung (Orchestrierung) solcher Module beim klassischen Ansatz der Prozessautomation einen hohen Engineering- und Programmieraufwand erzeugt, ist ein Paradigmenwechsel nötig. Dieser vollzieht sich derzeit mit der Modulautomation. Das Ziel: Verfahrenstechnische Grundoperationen und Module sollen künftig einfach und ohne großen Programmieraufwand miteinander kombiniert werden können. Weil die Module ihre Steuerungslogik bereits in Form eines Module Type Package (MTP) mitbringen und über eine standardisierte Schnittstelle verfügen, können die Funktionen des Moduls vom zentralen Steuerungssystem als Dienst genutzt werden – und das ohne zusätzlichen Aufwand für die Steuerungsprogrammierung im Leitsystem. Für die Hersteller von Maschinen und Anlagen der mechanischen Verfahrenstechnik ist dies eine Herausforderung – sie müssen sich künftig intensiv mit Fragen der Digitalisierung, Automatisierung und Steuerungstechnik auseinandersetzen. Doch vom Nutzen sind immer mehr Anlagenbetreiber und Maschinenhersteller überzeugt – denn konsequente Modularisierung rechnet sich angesichts des Fachkräftemangels. Erste Anbieter, darunter der Anlagenbauer GEA, stellen sich bereits dieser Herausforderung und bieten neue Package Units mit MTP an.
Fazit: Ob Batterietechnik, Kreislaufwirtschaft oder nachhaltige Ernährung – die technischen Herausforderungen sind enorm. Mechanische Verfahren kombiniert mit digitalen Technologien spielen dabei eine entscheidende Rolle und sind ein zentraler Schlüssel zur Nachhaltigkeit. Spannende Fragestellungen, sinnstiftende Aufgaben und das aktive Gestalten einer nachhaltigen Zukunft – an Coolness-Faktoren fehlt es der mechanischen Verfahrenstechnik nicht.
Autor
Chemieingenieur und freier Fachjournalist
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