Pharma Innovation
06.10.2020 | Forschung trifft Praxis
Können Anlagenfahrer, Ingenieure und Prozessentwickler von chemischen Produktionsanlagen mit selbstlernenden Systemen unterstützt werden? Im Rahmen des Forschungsprojekts KEEN werden verschiedene KI-basierte Applikationen für die Prozessindustrie entwickelt.
Chemische und biotechnologische Prozesse zu planen und zu betreiben wird immer komplexer. Die Verantwortung tragenden Menschen brauchen hier Unterstützung bei ihrer Wissens- und Entscheidungsarbeit und bekommen sie mit einem System, das auf künstlicher Intelligenz (KI) basiert. Aktuell werden im Projekt KEEN „Künstliche-Intelligenz-Inkubator-Labore in der Prozessindustrie“ KI-Methoden in der Prozessindustrie implementiert. Das Projekt wird vom BMWi gefördert; es verbindet 20 Industrie- und Wissenschaftseinrichtungen und gliedert sich in drei Themenbereiche: KI-basierte Optimierung, KI-basiertes Engineering von Anlagen und KI-basierte Modellierung. Dabei wird unter anderem der Einsatz von Maschinellem Lernen untersucht, das ein Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz ist. Die Funktionsweise von Maschniellem Lernen orientiert sich prinzipiell am menschlichen Lernen. Der Mensch verwendet Beispiele aus seiner Erfahrung, um differenzieren und komplexe Anforderungen bewältigen zu können. Eine selbstlernende Maschine lernt aus Daten und kann auf deren Basis Entscheidungen fällen und Vorhersagen treffen. Diese Vorhersagen können sowohl Anlagenfahrer und Ingenieure als auch Prozessentwickler bei ihren Tätigkeiten unterstützen. Die KI fungiert dabei als ein kognitiver Verstärker.
Eine konkrete Anwendung in der Prozessindustrie ist die Unterstützung des Betriebspersonals von chemischen Anlagen mit KI-basierten Steuerungs- und Assistenzsystemen. Solche Systeme werden unter anderen von der TU Dresden, TU Dortmund (dyn) und TU Berlin entwickelt. Sie verwenden Modelle, die aus historischen Sensordaten und Simulationen komplexer Modelle gelernt wurden. Die Modelle erkennen kritische Anlagenzustände und sagen das Anlagenverhalten in der Zukunft voraus. Das Lernverfahren kann überwacht oder unüberwacht sein. Bei einem unüberwachten Lernverfahren wird ein Modell aus Daten ohne Zielvorgabe gelernt, indem Muster erkannt werden. Auf Basis der Modelle soll die Performance und die Sicherheit der Anlage verbessert werden; sowohl durch die Verwendung von Regelalgorithmen als auch durch die Unterstützung der Anlagenfahrer, rechtzeitig und effizient eingreifen zu können.
Auch bei der Planung konventioneller und modularer Prozessanlagen soll KI genutzt werden. Sie wird beispielsweise für die HAZOP-Analyse (Hazard & Operability study) eingesetzt, die für die Genehmigung und den Betrieb einer Anlage erstellt werden muss. Das KI-basierte System lernt dabei aus vorhandenen HAZOP-Daten, Heuristiken und Literaturdaten. Ganz konkret wird so eine beschleunigte Erstellung der Gefährdungsbeurteilung gerade für bestehende Laboranlagen der Arbeitsgruppe Apparatedesign an der TU Dortmund durchgeführt. Die Ergebnisse werden einen Beitrag zur Beschleunigung der Genehmigungsplanung, der Einführung von neuen Prozessen und das Training der Anlagenfahrer liefern. Damit werden Ingenieure bei der Anlagenplanung durch ein intelligentes Werkzeug unterstützt.
Für Prozessentwickler ist die Kenntnis von Stoffdaten für die Prozesssimulation fundamental. Heutige Stoffdatenbanken sind zwar umfangreich, allerdings unvollständig. KI-Methoden, mit denen Stoffdaten vorhergesagt werden können, eröffnen eine ganz neue Perspektive. Das funktioniert ähnlich wie Filmportale, die ihren Nutzern Filme auf der Basis schon geschauter Filme vorschlagen: wenn Ihnen „Harry Potter“ gefallen hat, sehen Sie sich mit großer Wahrscheinlichkeit gerne auch ähnliche Filme an, also „Der Herr der Ringe“. Für die Modellierung wird physikalisches Wissen, wie Reinstoffdaten und physikalische Gesetzmäßigkeiten, in Methoden des Maschinellen Lernens integriert. Der entsprechende Algorithmus wird von den KEEN Partnern in Kaiserslautern (Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM und TU Kaiserslautern) entwickelt.
Wenn die KEEN-Wissenschaftler und Entwickler die verschiedenen Anwendungsfälle betrachten, stellen sie sich immer die Frage, wie gut die Endanwender die KI-basierte Lösungs- und Entscheidungsvorschläge nachvollziehen können. Die neuen KI-Methoden sollen erklärbar sein und zu einem besseren Verständnis bei den verantwortlichen Personen beitragen. Sonst besteht die Gefahr, dass die Anwender die Methoden nicht akzeptieren oder der Einsatz der KI-Methode der Betreiberverantwortung nicht gerecht wird. Die künstliche Intelligenz wird die Handlungsspielräume der Menschen bei ihrem richtigen Einsatz als ein kognitiver Verstärker erweitern.
Autor
Leon Urbas leitet den Lehrstuhl für Prozessleitsystemtechnik an der Technischen Universität Dresden. Seine Forschung konzentriert sich auf die digitale Transformation der Prozessindustrien.
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