Pharma Innovation
26.07.2023 | Lab Innovation
Die Laborwelt ist in ständigem Wandel: Wurde bis Mitte des 20. Jahrhunderts noch der Mund zum Ansaugen beim Pipettieren genutzt, sind die Labore heute mit den passenden technischen Hilfsmitteln ausgestattet, die das Laborpersonal schützen und dessen Arbeit erleichtern. Die Entwicklung hat aber nicht bei Pipetten Halt gemacht, sondern erzielt heute besonders in den Bereichen Automatisierung, Digitalisierung und Robotik rasante Fortschritte.
Es wirkt fast wie ein Relikt längst vergangener Zeit: Als die dritte industrielle Revolution (Industrie 3.0) in den 1970-er Jahren die Arbeitswelt mehr und mehr in Richtung automatisierter Prozesse brachte, sorgte dies für einen Anstieg der Produktionsleistung und eröffnete neue Möglichkeiten in Fertigungstechnik und Maschinenbau. Auch in den Laboren begann zu dieser Zeit der Umstieg weg von manueller Routinearbeit hin zu mehr maschineller Unterstützung. Aber erst mit der vierten industriellen Revolution im Zuge der Digitalisierung kam der offizielle Durchbruch, dessen Weiterentwicklungen seitdem unter dem Schlagwort Labor 4.0 vorangetrieben und diskutiert werden.
Mit dem Zusammenführen von Grundaufgaben wie Rühren, Temperieren, Dosieren in automatisierten Prozessen war der Grundstein gelegt für eine schnellere und wiederholgenaue Laborarbeit. Heute ist im Grunde jedes Laborgerät zumindest teilautomatisiert – von der HPLC-Anlage mit Pumpsystem und Autosampler über den Fermenter mit präzise gesteuerter Temperiertechnik und Medienzufuhr bis hin zur elektronischen Pipette mit Unterstützungsfunktion für vorgespeicherte Workflows.
Die Automatisierung im Labor ist heute untrennbar mit der Digitalisierung verbunden: „Hier ist zu beachten, dass Digitalisierung allein nicht ausreichend ist – Automatisierung hat gerade im Laborbereich auch eine starke hardwaretechnische Komponente“, sagt Prof. Dr. Kerstin Thurow vom Center for Life Science Automation (CELISCA) der Universität Rostock. Ohne geeignete Geräte und Systeme, die Proben und Labware handhaben, sei eine Automatisierung von Laborprozessen nicht möglich. „Dies wird in der heutigen Diskussion häufig vergessen oder als gegeben vorausgesetzt“, merkt die Expertin an.
Im Idealfall vereint ein Gerät Automatisierungs- und Digitalisierungsfunktionen, so wie es bei vielen Workstations der Fall ist. Diese sind in der Regel mit eigener Software ausgestattet. Anwender können ihre Arbeitsprozesse damit selbst einspeichern, ohne dass dafür Programmierkenntnisse nötig sind. So lassen sich etwa im System per Drag and Drop von vorgefertigten Arbeitsschritten Wirkstoff-Screenings am PC entwickeln, die dann automatisiert von einer Pipettierstation durchgeführt werden. Die Anwender gewinnen so mehr Zeit für komplexere Laboraufgaben wie die Experimentplanung und -auswertung.
Unterstützend zu Workstations, die eine meist eng definierte Aufgabe erfüllen, sind immer öfter auch die aus der Industrie bekannten Roboterarme im Laborumfeld zu sehen. „Neben klassischen kartesischen Liquid-Handling-Robotern kommen unterschiedliche Roboterarme vor allem dann zum Einsatz, wenn hochkomplexe Systeme bestehend aus mehreren Geräten miteinander verbunden werden müssen“, erklärt Automationsexpertin Thurow. Ein solcher Roboterarm, wie er vor allem mit der Automobilherstellung assoziiert wird, kann flexible Bewegungen ausführen, wie sie sonst nur ein menschlicher Arm bewerkstelligt – und das mit der Präzision, Ausdauer und Wiederholgenauigkeit einer Maschine. Das bietet zum Beispiel für den Probentransfer oder die Probenvorbereitung Vorteile, vor allem in projektbezogenem Umfeld, wo sich die Workflows und Aufgaben häufiger ändern und eine anpassungsfähige Lösung erfordern.
Damit im meist ohnehin schon von Platzmangel geplagten Labor eine solche Roboterunterstützung untergebracht werden kann, handelt es sich bei modernen Roboterarmen meist um sogenannte Cobots (collaborative Robots), also kollaborative Roboter. Der Vorteil hier: Kollaborative Roboterarme lassen sich gefahrlos in ein gemeinsames Arbeitsumfeld mit Menschen integrieren, ohne eine physische Trennung von Labormitarbeiter und Roboter einzurichten.
Es ist denkbar, dass im Labor künftig Roboter-Gehilfen einfache und monotone Arbeiten des Personals übernehmen. Der auf der ACHEMA 2022 ausgestellte „Kevin“, ein vom Fraunhofer-Institut für Automatisierungstechnik entwickelter autonomer Cobot, ist etwa schon heute in realen Laborumgebungen im Einsatz. Er rollt selbstständig durch das Labor, nimmt Proben entgegen und transportiert sie zwischen Warenannahme, Analytiklabor und Archiv hin und her. Solch eine Form von mobiler Robotik hat laut Automationsexpertin Thurow die größten Chancen, die Laborarbeit in Zukunft grundlegend zu verändern. „Damit wird vor allem in hochkomplexen verteilten Systemen ein noch höherer Automationsgrad möglich werden.“ Das vollautonome Labor werde es aber ihrer Einschätzung nach nicht geben. „Lösungen werden immer für bestimmte Prozesse optimiert sein“, sagt Thurow.
Neben den physischen Aufgaben, die Roboter und andere Maschinen erledigen, steht im Laborumfeld meist die Datengenerierung im Vordergrund oder ist zumindest ein wesentlicher Teil der Arbeit. Seit Beginn des Computerzeitalters kommt es hier zu einem rasanten Anstieg in Geschwindigkeit und Menge der produzierten Daten.
Parallel dazu hat sich zwangsläufig eine Entwicklung ergeben, die Labormitarbeiter bei der Datenerfassung, -pflege und -auswertung unterstützt. Allen voran sind hier Labor-Informations- und Managementsysteme (LIMS) zu nennen, die es ohne den wachsenden Datenstrom wohl so nicht gäbe. Sie helfen bei der Dokumentation, dem Probenmanagement und fungieren als Schnittstelle zu den diversen Geräten im Labor. Dies erleichtert oder ermöglicht es erst Prozesse und Proben nachzuverfolgen, sodass auch Regularien in akkreditierten Laboren mit vertretbarem Aufwand erfüllt werden können.
Überhaupt sind Schnittstellen ein wichtiges Thema im Laborbereich. Schon länger gibt es Bestrebungen, den Zeiten von proprietärer Software ein Ende zu setzen und das vielbeschworene Plug-and-Play auch über verschiedene Hersteller hinweg ohne Einschränkung zu ermöglichen – also einfach ein neues Spektrometer anschließen, und sofort wird es im bestehenden Labornetzwerk erkannt und ist einsatzbereit. In vielen Fällen funktioniert das bereits, doch noch ist einiges an Arbeit zu erledigen. Hier sind vor allem die beiden Initiativen SiLA und OPC UA LADS zu nennen, die sich jeweils vorgenommen haben, einen verbreiteten Standard für die Geräteanbindung im Labor zu schaffen.
Wenn es um die Benutzerfreundlichkeit für die Neu- oder Ersteinrichtung eines Labors geht, kommt nicht nur die Schnittstellen-Frage zum Tragen, sondern generelle Planungsfragen wie die nach dem sinnvollen Aufstellungsort der Geräte, dem verfügbaren Platz bis hin zur kompletten Planung von Medienversorgung und Einrichtung neuer Arbeitsplätze. Hier hat Virtual Reality (VR) bereits Fuß in der Laborwelt gefasst. Damit lässt sich etwa ein zuvor erstellter digitaler Zwilling des Labors interaktiv und immersiv erkunden, Labormöbel können platziert und modifiziert werden und Anwender können gemeinsam mit den Laborplanern im virtuellen Raum Änderungswünsche besprechen und direkt sichtbar machen. Damit sind klassische Vor-Ort-Termine von überall aus mit einem einfachen Log-in und einer stabilen Internetleitung möglich.
Auch die verwandte Augmented-Reality (AR), bei der Informationen in die reale Umgebung hineinprojiziert werden, bietet bereits heute großes Potenzial für die Arbeit im Labor – auch wenn der Durchbruch im Arbeitsalltag weiterhin auf sich warten lässt. Die Möglichkeiten sind vielfältig: Schritt für Schritt geführte Workflows per Texteinblendung in eine Datenbrille, Hervorheben von gesuchten Geräten oder Chemikalien im Sichtfeld oder Reparaturanweisungen für ein Analysegerät sind nur einige Beispiele. Möglicherweise müssen sich Anwender noch an diese Form der Unterstützung gewöhnen. Es ist denkbar, dass sich die Technologie mit der kürzlich vorgestellten VR-Brille von Apple bald gesellschaftlich durchsetzen wird.
Wie schnell ein Technologiesprung vonstattengehen kann, zeigt sich am Aufkommen des Chatbots ChatGPT und seiner Klone, die binnen kürzester Zeit einen medialen Hype erfahren haben. Die Möglichkeiten, die mit derartigen lernenden Algorithmen bestehen, werden auch die Arbeitswelt im Labor verändern. Ein entsprechend trainiertes Programm könnte etwa bei der Dokumentation und dem Schreiben von Veröffentlichungen helfen. Oder schlicht als Mediator zwischen Mensch und Computerprogramm fungieren, mit dem sich per Text oder Spracheingaben die Messungen designen und steuern lassen – quasi im direkten Dialog mit dem Analysegerät. Erste Versuche einer Sprachsteuerung für das Labor hat der Temperiertechnik-Hersteller Lauda mit seinem System Lauda Live im Jahr 2022 gemacht. Der Vorteil liegt auf der Hand, bzw. in diesem Fall ist die Hand der Vorteil: Diese wird nicht mehr für Eingaben benötigt, sondern bleibt frei für andere Aktionen.
Das Labor wird nach und nach immer weiter vernetzt, digitalisiert und automatisiert werden. Womöglich wird es in Zukunft sogar den oft propagierten Zustand des „papierlosen Labors“ geben. Ein Aspekt, der bei all dem technischen Fortschritt wie ein Konterpunkt wirkt, wird aber das künftige Labor maßgeblich beeinflussen: das Thema Nachhaltigkeit. Dabei ist der Wunsch nach einem nachhaltigen Labor keineswegs das Bestreben nach weniger Technik, sondern sogar auf neue Technologien angewiesen.
Davon ist auch Dr. Thorsten Teutenberg vom Institut für Umwelt und Energie, Technik und Analytik (IUTA) überzeugt: „Die Digitalisierung bietet zunächst das größte Potenzial, die Nachhaltigkeit im Labor voranzutreiben.“ Dies sieht Teutenberg zum Beispiel in besseren Organisations- und Dokumentationsmöglichkeiten begründet. „In vielen akademischen Einrichtungen werden häufig Experimente wiederholt, die bereits mehrfach durchgeführt wurden, allerdings von einer anderen Person, die ggf. schon lange nicht mehr an dieser Institution arbeitet. Durch Nutzung zum Beispiel eines elektronischen Laborjournals anstelle einer papierbasierten Laborkladde können Forschungsergebnisse dauerhaft verfügbar gemacht und unnötige Experimente vermieden werden.“
Auch die Miniaturisierung von Laborgeräten und -prozessen, etwa eine Umstellung von klassischer HPLC auf eine Mikro-LC, hat einen positiven Nebeneffekt auf die Nachhaltigkeit. Mit derartigen Anpassungen wird im Idealfall wertvoller Stellplatz im Labor frei. „Wenn es gelingt, durch miniaturisierte Analysensysteme Platz einzusparen, so hat das einen sofortigen Effekt auf die Betriebskosten des Labors“, erläutert Teutenberg.
Ob es nun Miniaturisierung von Geräten und Versuchsaufbauten bis hinunter zum „Lab-on-a-Chip“ für einen minimalen Ressourcenverbrauch ist, ein durch KI optimierter Reaktionsansatz, der schneller zum gewünschten Ergebnis kommt oder schlicht ein Tiefkühlgerät mit geringerem Energieverbrauch – viele moderne Entwicklungen unterstützen den Nachhaltigkeitsgedanken der Laborarbeit implizit mit.
Von Automatisierung über Robotik zu Digitalisierung und KI bis hin zu mehr Nachhaltigkeitsbestreben: Das Labor ist in einem stetigen Wandel. Wie schnell sich die Laborwelt tatsächlich verändert, hängt am Ende nicht nur von den Weiterentwicklungen der Technologien ab, sondern auch von den Menschen, die sie in ihrem Arbeitsalltag nutzen. Und manchmal braucht es seine Zeit, bis sich etwas Neues durchsetzt, sei es das erste LIMS oder gleich die futuristisch wirkende AR-Datenbrille fürs Labor.
Autor
Redakteur LABORPRAXIS, Vogel Communications Group GmbH & Co. KG
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